Zimmer und Rohde Textilverlag und reines Leinen zum Wohnen und Einrichten

Pures Leinen - Edel und natürlich

von Redaktion Wohnen Einrichten / Werbung

Ein Bericht über die Herstellung von Leinen. Ein Material mit einer ganz edlen Anmutung, kühlend und wärmend, authentisch und natürlich.

Der Deutsche Fachverlag hat im Dezember 2016 diesen Artikel in der Zeitschrift "home" über die Geschichte des Leinen veröffentlicht. Wir finden den Bericht so interessant, dass wir ihn auch hier zeigen möchten.

Leinen ist ein natürliches Material, es eignet sich hervorragend für Produkte zum Wohnen und Einrichten. Bezugsstoffe für Polstermöbel, Kissen, Decken, Bettwäsche, Tischläufer, Gardinen und Stores werden aus Leinen hergestellt. Durch den einzigartigen Charakter des Materials erhält jedes Produkt ein individuelles Aussehen und eine einzigartige Haptik. Die Stoffverlage "Zimmer + Rohde" und "Kinnasand" haben uns freundlicherweise Fotos hochwertiger Leinen-Produkte zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür.

Die Leinenstraße
„Made in Europe“ steht für Qualität, Kultur und Sicherheit. Die Anzahl der Textilien, die komplett in Europa hergestellt werden, ist allerdings gering. Das wird sich ändern. Auf der Suche nach einer schrumpfenden Industrie hat TextilWirtschaft home einen Wachstumsmarkt entdeckt.



Der Norden Frankreichs ist rau. Gezeichnet von unbestimmtem Wetter, gedeckten Farben und schwachen Konturen. Wir befinden uns auf der Spurensuche nach Stoffen, die vom Anbau bis zum Finishing in Europa hergestellt werden können – wir haben uns dem Leinen zugewandt. Es ist eine Suche nach Spuren, weil die hiesige industrielle Infrastruktur in den vergangenen 70 Jahren auf eine kaum wahrnehmbare Größe zusammengeschrumpft ist. Leinen hat gerade mal einen Anteil von zwei Prozent am gesamten Textilaufkommen weltweit, ein klares Nischenprodukt. Mikroökonomisch betrachtet hat man es jedoch mit einem aufblühenden Markt zu tun, denn der größte Teil davon wird in Europa hergestellt. Den hiesigen Produzenten, die ebenso handfest sind wie ihre Region, gelingt es dabei, die für sie vorteilhaften Bewegungen auf dem globalen Markt zu erfassen und für sich urbar zu machen. Etwa, dass mit steigenden Lohnkosten in bisher günstigen Produktionsländern ein neues Preisgefüge für Produkte wie ihre entsteht. Und dass im gleichen Atemzug eine neue bürgerliche Mitte in Staaten, wie China, Russland, der Türkei oder Brasilien heranwächst, die ein hohes Interesse an europäischer Kultur pflegt. Nicht zu vergessen der Fakt, dass Leinen so nachhaltig ist, wie wenige andere Textilen und daher gut in den Trend des umweltbewussten Konsums passt.


Europäisches Leinen rückt so in den Fokus einer Konsumentengruppe, die wertig Wohnen und Leben wollen, die gesättigt sind von den Argumenten, die ihnen das globale Massenangebot um die Ohren schlägt. Anstatt Preis, Schnelligkeit und Komfort, suchen sie nach Geschichte, Transparenz und Einfachheit. Sie lieben es vergessen Geglaubtes zu entdecken, weil es ihnen Ruhe und Besonderheit vermittelt – beides Werte, die sie im Alltag nicht bekommen. Diese Zielgruppe wird wahlweise „Neo-Ökologen“, „LOHAS“ oder „Traditionalisten“ genannt und sie wächst. Nicht bombastisch, aber zuverlässig. Gerade so, wie es eine vergessen geglaubte Industrie vertragen kann, um zu neuer Marktrelevanz zu kommen.

Wir fahren also durch den Norden Frankreichs, wo zusammen mit Belgien laut „The European Confederation of Linen and Hemp“ (CELC) 80 % des Flachses für die globale Textilindustrie angebaut wird. Konkret sind wir auf dem Weg nach Killem, einem Tausend-Seelen-Dorf in der Hauts-de-France direkt an der belgischen Grenze. Dort sitzt das Leinwerk Van Robaeys, das seit 1917 den Flachs der umliegenden Bauern für die Spinnereien aufbereitet. Pierre D'Arras, der Urenkel des Gründers und gemeinsam mit vierzig weiteren Familienmitgliedern Anteilseigner des Betriebs, begrüßt uns und führt uns durch das Werk. Vor einem Jahr hat der Ingenieur die Geschäftsführung übernommen. D’Arras ist 36 Jahre alt, großgewachsen und hat diese typische Ambivalenz von Neugier und Kreativität einerseits und der Erfahrung seiner Urväter andererseits inne, die man bei Nachfolgern oft antrifft. Im besten Fall zumindest. Entsprechend differenziert und frisch erklärt er die komplizierten Abläufe in seinem Werk.



„Die Flachsverarbeitung ist komplex, was auch Van Robaeys schwer fassbar macht. Wir stehen zwischen der Landwirtschaft und der Industrie, fühlen uns also vier Monate im Jahr als Bauern und den Rest der Zeit denken wir in industriellen Strukturen“ erklärt D‘Arras. Vier Monate, damit meint er die von Juni bis September, wenn der Flachs geerntet wird und die Gesetze der Natur die Arbeit bestimmt. Denn der Wechsel zwischen Sonne und Regen beeinflusst die Qualität der Faser. Und jede Wachstums- oder Erntephase hat eigene Anforderungen. Denn nachdem die Pflanzen aus dem Boden gezogen wurden, lässt man sie für einige Wochen auf dem feuchten Feld liegen und wendet sie nur ab und zu, damit durch den Gärprozess das sogenannte Leitbündel aufspringt, in dem sich die Fasern befinden. Danach werden die Pflanzen getrocknet und zu Ballen zusammengerollt. Bekommt der Flachs zu viel Wasser und zu wenig Sonne ab, werden die Fasern dunkel und holzig. Wenn er zu trocken bleibt, springen sie nicht ordentlich auf. „Es ist immer ein Glücksspiel. Denn manchmal kann man die Ernte nur retten, indem man sie früher als üblich einholt. Dann entscheidet man sich bewusst für eine niedrigere Qualität, weil das Gefühl sagt, dass der kommende Regen sonst ein noch schlechteres Ergebnis beschert. In solchen Momenten braucht man die Erfahrung und einen guten Draht zu den Bauern“, erklärt D’Arras. Einige der Bauernfamilien haben schon für seinen Urgroßvater gearbeitet und kennen ihn seit seiner Kindheit. Aber nicht nur die gemeinsame Geschichte, sondern auch die wechselseitige Abhängigkeit bestimmt das vertrauensvolle Verhältnis. Immerhin teilt man den wirtschaftlichen Erfolg wie auch das Risiko miteinander. In diesem Sinne legt man immer für das Folgejahr gemeinsam vertraglich fest, wie viel Flachs angebaut und von Van Robaeys abgenommen wird. Das Leinwerk stellt das Saatgut und die notwendigen Maschinen. Vor dem Hintergrund, dass Felder nur alle sieben Jahre für den Flachsanbau genutzt werden dürfen, würde sich die Anschaffung für die Bauern nicht lohnen. Gemeinsam trifft man auch die wichtigsten Entscheidungen bezüglich der Ernte. Natürlich könne man auch weniger Aufwand beim Anbau betreiben, aber nicht, ohne deutliche Abstriche in der Qualität zu machen. „Wir sehen an den Pflanzen, ob die Landwirte die sieben Jahre eingehalten haben und sogar, für was sie die Felder in der Zwischenzeit genutzt haben. Weidefelder sind zum Beispiel sehr ungeeignet für uns, weil der Flachs zu sehr in die Höhe schießt. Darauf muss man wiederum die Samenart abstimmen“, so D‘Arras. Zusammengefasst hinge viel von der Leidenschaft des Bauern ab und es gebe einige, deren Pflanzenqualität ungeschlagen sei.

450 Landwirte aus verschiedenen Regionen Frankreichs beliefern Van Robaeys mit rund 30000 Tonnen Flachs im Jahr. Sie kommen in Tausenden von Ballen im Werk an, wo im ersten Schritt eine Maschine das Stroh von der Faser trennt, während die Samen für die nächste Aussaat gesammelt werden. Dann wird der Flachs von Hand gemäß seiner Qualität bezüglich Farbe, Stärke und Länge sortiert und in Lots für die Weiterverarbeitung katalogisiert. Erzeugnisse der besten Kategorie fassen sich an wie ein seidiger Haarschopf während die niedrigeren Qualitäten oft dunkler und strohiger sind. Fasern, die es aufgrund der zu geringen Güte nicht in eine dieser Kategorien schaffen, werden für die Automobilindustrie oder zur Papierproduktion weiter verarbeitet. D’Arras Vater hat hierfür in den siebziger Jahren eigens Maschinen bauen lassen, so dass heute jeweils zehn Prozent des Umsatzes mit der Papier- und der Automobilbranche gemacht wird, Tendenz stetig steigend. Vermutlich ergab sich diese Investition aus Suche nach neuen Märkten, nachdem die Abnahme vonseiten der Spinnereien rückläufig war. Seinerzeit wurden die Vorteile der sogenannten Billiglohnländer entdeckt.

Van Robaeys ist ein Zero-Waste-Betrieb, ohne dass er sich selbst als solchen bezeichnen würde. Schlicht aus dem typischen Verständnis eines Landwirts heraus, dass nichts wegkommt, was noch gut ist. So findet nicht nur jede Faserqualität ihre Bestimmung, sondern selbst versehentlich in den Ballen gelandete Steine werden an Straßenbaufirmen weiterverkauft. Leinstroh ist ein wunderbar trockenes Einstreu für Pferdeställe. Die Kordeln, die die Ballen zusammenhalten, werden immer wieder verwendet und selbst das für die Flachs-Produktion typische hohe Staubaufkommen wird aufgefangen und als Dämmmaterial veräußert.



Dieser Betrieb verschenkt nichts, denn ihm wird auch nichts geschenkt. Vom Staat als Industrie nicht ernst genommen, kann er weder mit Subventionen noch mit Verständnis für die branchenüblichen Abläufe rechnen. Im Gegenzug bleibt die Wettbewerbssituation berechenbar, denn keiner kommt heute auf die Idee, eine solche Fabrik in Europa aufzubauen. „Ein Leinwerk ist aufgrund der vielen Maschinen und des Platzes, den wir benötigen eine sehr kostspielige Angelegenheit. Eine Grundausstattung würde sicher um die 5 Mill. Euro kosten und dann hätte man noch keine Kontakte oder Know-how. So etwas würde doch niemand ernsthaft in Erwägung ziehen“ erklärt D’Arras sichtlich überrascht von der Frage nach neuer Konkurrenz. Van Robaeys macht mit zwei Standorten aktuell einen Jahresumsatz von 25 Mill. Euro. 60% davon mit den Textilspinnereien, von denen rund 70% in China sitzen, 15% in Indien und 15% in Europa. „Wir merken eine deutlich steigende Nachfrage aus Europa. Das freut uns natürlich sehr“, sagt D’Arras. Vor allem Polen und Litauen seien für ihre spezialisierten Flachs-Spinnereien bekannt. Schade eigentlich, dass es in Frankreich keine Spinnerei gibt, denn dann verkürzte sich der Weg der Pflanze bis zum fertigen textilen Produkt auf unter 500 Kilometer. Das wäre doch mal was.

„Die Herstellung von Flachsgarn ist eine Kunst für sich, denn je nachdem, welche Qualität der Kunde benötigt, muss man unterschiedliche Lots miteinander mischen. Und da sich jedes Lot vom anderen unterscheidet, ist das Verhältnis immer wieder ein anderes. Das ist fast wie in der Haute Cuisine. Und die osteuropäischen Spinnereien sind die Sterne-Köche“, erklärt Marie-Emmanuelle Belzung später am Telefon. Sie ist Geschäftsführerin der CELC und unterstützt uns auf unserer Spurensuche. Der in Paris ansässige Verband vertritt die Interessen der Leinenproduzenten, vom Flachsbauern bis zum Händler, und zählt aktuell um die 10000 Mitglieder. Die CELC hat zwei Zertifikate für europäisches Flachs und Leinen entwickelt, das „Masters of Linen“-Label, das sowohl die Herkunft als auch die sozialen Bedingungen der Leinenproduktion zertifiziert und das EUROPEAN FLAX-Siegel, das ökologische Gesichtspunkte in den Fokus nimmt und Standards zugrunde legt, wie man sich auch von dem Cradle-to-Cradle-Siegel kennt. Von der Wiege zur Wiege, für Leinen kein Grund für Aufhebens, denn die Naturfaser wird traditionell natürlich angebaut, gebleicht (nämlich durch Sonneneinstrahlung), gefärbt und behandelt und ist somit klassischerweise kompostierbar.

„Die Leinenindustrie ist sehr kultiviert, denn sie basiert auf einem Wissen, das man nicht in der Schule lernen kann, sondern von Generation zu Generation weiter gegeben wird. Und dennoch findet jede Generation ihren eigenen Weg“, so Belzung. Sie redet über die Leidenschaft ihrer Mitglieder und über deren Fingerspitzengefühl, wenn es darum geht, die beste Qualität zu erzielen. „Das ist sicher auch der Grund, warum die Leinenindustrie in Europa überlebt hat. Die Ehrfurcht vor dieser wunderbaren Faser, das Verantwortungsbewusstsein der Familienunternehmen und – und das halte ich für zentral – die Bereitschaft, sich technologisch immer weiter zu entwickeln.“ So sucht die CELC auch durch Forschungsprojekte nach neuen Anwendungsgebieten und organisiert Tagungen zu diesen Themen. In der Tat präsentiert sich dieses historische Material, das auch in der Branche lange Jahre als altmodisch galt, hinter den Kulissen erstaunlich zukunftsorientiert. Pierre D’Arras etwa erklärte, dass Automobilhersteller in der Verkleidung von Autotüren die Glasfaser immer häufiger durch Flachs ersetzen, da er ökologischer aber auch intelligenter sei, etwa in puncto Feuchtigkeitsregulierung. Auch zeigte er eine Kordel, ein Gemisch aus Flachs und Bioplastik, die für den 3D-Druck geeignet sei.



Die Spurensuche treibt uns über die Grenze nach Belgien. Es ist Spätherbst und die vielen Felder entlang der Straße sind meist leer. Man kann sich jedoch vorstellen, wie sich die zarten Blüten der Flachspflanzen im Frühsommer vormittags öffnen und eine hellblaue Fläche bilden, die sich im Wind wiegt, um sich zum Abend hin wieder zu schließen und ein grünes Feld zurückzulassen. Es ist spürbar wie eng die Kultur dieser Region mit dem Flachs verbunden ist, wie sie seine Stimmung aufnimmt und wie sein Pulsschlag den Lebensrhythmus bestimmt. Unweigerlich denkt man an die Lavendelfelder der Provence, ihr forscher Duft, die kühne Farbe und wie auch sie alles bestimmen. Wie zurückhaltend und geradezu elegant der Flachs im Vergleich doch ist.

Wir erreichen das kleine Städtchen Meulebeke bei Gent. Hier sitzt Libeco, ein wahres Aushängeschild für die Tradition und die Qualität europäischer Leinenstoffe. Das knapp 160 Jahre alte Unternehmen teilt seine Geschichte mit vielen althergebrachten Textilbetrieben, die als Händler begannen und im Zuge der Industrialisierung in moderne Produktionswege investiert haben. Während jedoch die meisten Textiler in den siebziger Jahren durch den Druck der günstigeren Konkurrenz aus dem fernen Ausland den Weg zurück in den Handel suchten, beschloss Libeco, die Hürden des Fortschritts zu nehmen und an ihrem Kerngeschäft festzuhalten – der Leinweberei.

Die Webstühle in Meulebeke haben noch nie etwas anderes produziert. In einer riesigen Halle stehen die schweren Maschinen Seite an Seite und weben linkerhand festes und rechterhand feines Leinen, insgesamt 5 Millionen m2 im Jahr. Jedes Fabrikat wird im Nachgang von Hand geprüft und notfalls ausgebessert, ein Prozess der gefühlt ebenso lange dauert, wie das Weben selbst. Mit Pinzette und Nadel werden hervortretende Garnschleifen herausgezogen oder wieder in das Gewebe eingefügt. Das Finishing wird von einem Partnerunternehmen in der Region gemacht, bevor der Stoff dann nach einer letzten Qualitätsprüfung von Libeco an den Kunden ausgesandt wird oder im Lager als NOS-Ware auf seine Bestimmung wartet.

Raymond Libeert, Geschäftsführer von Libeco, führt uns mit eleganter Wortwahl durch die Historie der Marke, die gleichzeitig jene seiner Familie ist. Sie ist wie eine Berg- und Talfahrt, bei der man weiß, dass man heil ankommen wird. Er erzählt von der Revolution durch die ersten mechanischen Webstühle und von der schweren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Er lobt den Mut des Vaters, als er zu Zeiten des schlimmsten Umsatzrückgangs in den sechziger Jahren mithilfe aller finanziellen Reserven das Werk modernisierte, auf dass Libeco mit einer neuen Generation von Produkten in den USA Fuß fassen konnte. Er betont, wie schwer es war, an Leinen festzuhalten, als das Material in den siebziger Jahren nicht mit den neuen Synthetikfasern mithalten konnte, während auf der anderen Seite die Öffnung Osteuropas günstigere Fabrikate auf den Markt spülte. Damals antwortete Libeco mit der Erweiterung des Produktportfolios um Heimtextilien. Als Reaktion auf die vorerst letzte Krise fusionierte das Unternehmen 1997 mit der im selben Ort ansässigen Weberei Lagae, die auf feines Leinen spezialisiert war und somit einen neuen Bereich abdeckte. Die erneute Diversifizierung, aber auch die Kostenersparnis auf Produktionsseite, etwa durch gemeinsame Lagerhaltung, konsolidierte die Geschäfte.

Die Geschichte Libecos ist eine bilderbuchartige Aufzählung bester Beispiele antizyklisches Wirtschaftens, nach dem man in guten Jahren spart, um in Schlechten zu investieren. Eine Methode, die Sinn macht und dennoch viel zu selten angewendet wird. Womöglich, weil es Mut erfordert, den eigenen Weg für den richtigen zu halten, wenn die Bestätigung von außen vorerst ausbleibt. Heute macht Libeco einen Jahresumsatz von 40 Mill. Euro – dies sei Bestätigung genug. Raymond Libeert indes pflegt einen gesunden Gleichmut gegenüber den Bewegungen auf dem Markt. „Es heißt ja im Volksmund, dass sieben fetten Jahren in der Regel sieben magere folgen. So ist eben der Lauf der Dinge und unsere Aufgabe ist, den bestmöglichen Weg zu finden, mit diesem Lauf auf unsere Weise umzugehen.“



Der Lauf der Dinge lässt allerdings momentan eher fette als magere Jahre vermuten, denn europäisches Leinen erzählt eine Geschichte, die gerade sehr bereitwillig gehört werden möchte. Man könnte sagen, Leinen spiegelt die gesamte Kultur Europas wieder. Unsere Kleidungskonventionen, unsere Tisch- und Schlafkultur: Was wäre sie ohne diesen robusten und dennoch eleganten Stoff? Seine Anmutung entspricht der Kargheit des Denkers wie dem Überschwang des Hoflebens. Es vermittelt den Pragmatismus des Bauernhemds und gleichwohl die Dekadenz eines Platzdeckchens. Aus ihm wurde „das letzte Hemd“ gefertigt, in dem man sich von allem Irdischen verabschiedet hat. Ja, selbst die europäische Kunstgeschichte wäre ohne Leinwände und traditionell aus Leinöl gefertigten Farben wortwörtlich auf ein anderes Blatt geschrieben. In einem Europa, das gerade aktiv um seine Identität kämpft und einer westlichen Welt, die um substanzielle Werte ringt, sind es diese schützenden und sinnstiftenden Stimmungen, die der Mensch in seinem Refugium, seinem Zuhause sucht. Nicht zu vergessen, dass die textilen Eigenschaften von Leinen um Längen besser sind als die vieler anderer Naturfasern. Es transportiert Feuchtigkeit und sorgt für ein gutes Raumklima. Und als Rohstoff ist es unschlagbar nachhaltig. Im Flachsanbau wird nicht bewässert wie beispielsweise bei Baumwolle und Schädlingsbekämpfung ist selten notwendig. Der traditionelle Fruchtwechsel im Sieben-Jahres-Rhythmus, sowie die Tatsache, dass die Felder nicht entlaubt werden, hält die Böden fruchtbar und unterstützt die Gesundheit des Ökosystems.

Für Libeco als Weberei fängt an dieser Stelle die Reise erst an. Die Eigentümer haben in den vergangenen Jahren viel in die Umrüstung des Werks hin zu mehr Nachhaltigkeit investiert, sei es mit Systemen zur alternativen Energieversorgung durch Wind und Sonne, oder mit der Einführung ihrer Eco-Linen-Linie, deren Produkte durch den Verzicht auf toxische Substanzen im Bleich- und Färbeprozess sogar kompostierbar sind. „Es geht den Kunden jedoch nicht nur darum, wie sauber ein Produkt ist. Sie möchten es sich selbst ansehen können, also transparente Produktionsabläufe vorfinden. Das können wir mit unserem Sitz in Europa natürlich bieten. Es kommen häufig Besuchergruppen, um sich unser Werk anzuschauen“, fügt Libeert hinzu. Auf dem Tisch liegen zwei Publikationen, ein Buch über die Geschichte Libecos und ein gerade erschienenes Buch über die Leinenproduktion im Allgemeinen. Vor allem das Zweite ist ein regelrechtes Coffeetable Book: stimmungsvolle Bilder, zeitgemäßes Layout und eine passgenaue Menge an Informationen für den interessierten Laien.

„Wir haben erkannt, dass die Bedürfnisse der Babyboomer und der Millenials eine recht hohe Schnittmenge haben und das Produkt Leinen liegt mit seinem Angebot genau in dieser Schnittmenge. Dies wird nun immer stärker wahrgenommen, allerdings haben wir das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Wir müssen mit gezielten Maßnahmen die Begehrlichkeit steigern“ erklärt Marie Emanuelle Belzung den Status quo. Leinen würde den Wunsch nach Regionlität, Authentizität, Transparenz, Glaubwürdigkeit und Fairness befriedigen. Alles Wünsche, die immer deutlicher von Verbrauchern formuliert würden. Raymond Libeert hat das wachsende Potenzial seines Produkts ebenfalls im Blick und bereitet sein Unternehmen auf die neuen Bedingungen in puncto Nachhaltigkeit, Transparenz aber auch Anmutung vor. „Der neue Trend hin zu gewaschenen Qualitäten ist für uns natürlich wunderbar, denn wir hatten oft mit dem Nachteil zu kämpfen, dass Leinen schnell knittert. Es gab Zeiten, in denen wir auf den Messen stundenlang mit Bügeln beschäftigt waren, weil die Kunden Falten nicht mochten“, beantwortet Libeert die Frage nach der Entwicklung der Nachfrage. Heute müsse das Material eine natürliche und lebendige Oberfläche haben. Und der Nachteil von Leinen wird plötzlich zum Vorteil.

„Es geht nicht um schnelles sondern um substanzielles Wachstum. Leinen wird ein Nischenmarkt bleiben, aber dieser wird immer weiter wachsen und neue Nebenmärkte erschließen. Auch werden neue Technologien einen Rolle spielen“ zeichnet Marie-Emanuelle Belzung ihre Vision der Branche. Viel mehr noch, als in diesen äußeren Umständen könnte der Erfolg der Branche in der Unternehmenskultur ihrer Vertreter begründet liegen, die geprägt ist von der Verpflichtung gegenüber den Wurzeln und den Mitwirkenden der historischen Betriebe einerseits und der Begeisterungsfähigkeit gegenüber dem Fortschritt andererseits. Es ist die Mischung aus Flexibilität und Sturheit, aus Schwerfälligkeit und Spontaneität, die man in beiden Unternehmen spüren konnte, die wir besucht haben. Vor allem ist es aber die Leidenschaft, mit der die Unternehmer immer wieder erstaunt auf ihr Material schauen und neue Facetten entdecken, die andeuten wie gegenwärtig Leinenprodukte sind. Und das seit 30000 Jahren.

www.zimmer-rohde.com
www.kinnasand.de